Kulle träumt

Kulle träumt.
Die Materie taumelt durch den Weltenraum.
Ein Raumschiff taumelt durch den Weltenraum. Es fliegt zur Erde.
Kulle ist in dem Raumschiff. Er hat keine Ahnung, wie er dahin gekommen ist oder was er dort soll. Er wandert herum, sieht unbekannte Apparaturen, versteht nichts. Linien und Zahlen rasen über Bildschirme. Plötzlich steht er vor einem Spiegel und sieht etwas Verständliches, nämlich sich. Aber das Objekt, vor dem er sich befindet, ist kein Spiegel, sondern ein Durchlass. Kulle steht nicht vor seinem Spiegelbild, sondern vor seinem Ebenbild. Der Pilot des Raumschiffes ist ein kleiner Bär. Er ähnelt Kulle aufs Haar, mit einem winzigen Unterschied: Rechts und links der Ohren wachsen ihm zwei borstendünne Sensoren aus dem Kopf. Daran erkennt Kulle selbstverständlich sofort den Extraterrestrier, aber weil der ein Bär ist, unterstellt er, dass er seine Sprache kann.
“Was willst du auf der Erde?” fragt Kulle.
“Der Kurs wurde einprogrammiert, weil von diesem Planeten Radiowellen emittiert werden. Sie konnten zum Teil entschlüsselt werden. Sie deuten auf die Existenz intelligenter Lebewesen hin. Deshalb wollen wir ihn erforschen.”Kulle lacht und sagt: “Da forsche ich mit!”
Der kleine Bär liest seine Instrumente ab und versteht natürlich alles: Die lokale Sonne umkreist das Zentrum der Galaxis in einem mittleren Abstand von 26.000 Lichtjahren und befindet sich damit in einem ihrer Seitenarme. Es ist ein Stern aus Wasserstoff und Helium wie die meisten im Universum, gehört allerdings zu den größeren. Sein dritter Planet in acht Lichtminuten Abstand ist die winzige “Erde”, die über eine Atmosphäre verfügt, die zu etwa 78% aus Stickstoff und zu ca. 21% aus Sauerstoff besteht.
“Wir landen gleich!” sagt der kleine Bär.
“Wo?” will Kulle wissen.
“Da, wo die meisten Informationen herkommen. Wir haben ihren geografischen Code geknackt. Demzufolge handelt es sich um ein kleines Gebiet auf etwa 37° nördlicher Breite und 77° westlicher Länge.”
“Oh Tussi!” stöhnt Kulle. “Das ist das Pentagon! Da können wir nicht…”
“Wir sind da!” sagt der kleine Bär ungerührt. “Wir empfangen und analysieren jetzt die wichtigsten Daten.”
“Aber…” jammert Kulle.
“Keine Sorge,” beruhigt der kleine Bär. “Es dauert nicht lange.”
Kulle wandert unruhig in dem Raumschiff umher. Er hört nur das Summen von Maschinen. Er kann nicht hinaussehen, denn es gibt keine Fenster. Das ist ihm auch lieber – er stellt sich vor, dass ein Bataillon von Marines längst von allen Seiten Mini-Nukes auf sie gerichtet hat.
“Möchtest du jetzt aussteigen?” erkundigt sich der kleine Bär. “Ich fliege nämlich gleich ab.”
Bevor Kulle antworten kann, spürt er die Flugbewegung. Er rüttelt an den Wänden, denn er kann keine Türen finden. Er kann sich nur im Zeitlupentempo bewegen. Seine Anstrengungen sind vergeblich.
Es gelingt ihm zu fragen: “Warum fliegst du ab?”
“Das liegt doch auf der Hand! Die dominierende Spezies auf diesem winzigen Planeten ist in Fraktionen zerfallen, die große Anstrengungen darein setzen, die jeweils anderen zu vernichten. Damit sind sie beschäftigt und merken nicht, dass sie zahlreiche andere Arten bereits ausgerottet haben und ihre eigene Lebensgrundlage zu zerstören drohen. Anstatt ihre Lebensbedingungen und ihre eigene Rolle angemessen zu analysieren, halten sie sich für die “Krone der Schöpfung” und glauben folgerichtig an ein höheres Wesen, nein, falsch, an verschiedene höhere Wesen, denn auch in Bezug auf diese absurde Idee können sie sich nicht einigen. Wie konnten wir nur hoffen, dass es sich bei diesen Wesen um Intelligente handelt! Willst du nun aussteigen oder nicht?”
Kulle zögert.
“Na dann tschüss!” sagt der kleine Bär.
Kulle wird hinauskatapultiert und landet unsanft auf der Erde.


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