Was ist Empathie?
Der Duden liefert eine sehr enge Definition: Er bezeichnet Empathie als die „Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen“. Demzufolge ist Empathie also eine Empfindung, die nur Menschen anderen Menschen entgegenbringen können.
Wikipedia 1 geht scheinbar weiter:
„Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen. Zur Empathie gehört auch die Reaktion auf die Gefühle Anderer wie zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz oder Hilfsimpuls. Grundlage der Empathie ist die Selbstwahrnehmung; je offener man für seine eigenen Emotionen ist, desto besser kann man die Gefühle anderer deuten.“
Und schließlich lesen wir bei „empathie-lernen.de:”2 „Empathie ist die Fähigkeit, wahrzunehmen, was in einem anderen vorgeht.“
Wer also ist fähig zur Empathie wem gegenüber?
Dem Duden zufolge ist das der Mensch gegenüber dem Mitmenschen, bei Wikipedia ist von Personen und Persönlichkeitsmerkmalen die Rede, die Empathie-Seite spricht von „anderen.“ Gemeint ist, wie auch immer formuliert wird, präzise oder unpräzise, der Mensch.
Dieser Logik zufolge kann Tieren keine Empathie entgegengebracht werden, es sei denn, man schreibt ihnen Persönlichkeitsmerkmale zu, was Homo nur sehr zögerlich zu tun bereit ist, sieht er doch dadurch seine behauptete Stellung als Krone der Schöpfung gefährdet.3
Die jahrhunderttausendelange Beziehung zwischen Menschen und Tieren hängt weitgehend von der Zahl der Beine der Tiere ab: Alles, was acht oder sechs Beine hat, mit Ausnahme der Bienen, gilt als lästig und ist es oft auch. Fische sind nahrhaft. Vögel sind nützlich, sofern sie domestizierbar sind, Eier legen und zum Verzehr geeignet. Vierbeiner sind willkommen, wenn sie ähnliche Kriterien erfüllen: Wenn sie Milch und Fleisch geben und/oder ihre Kraft als Zug- bzw. Lasttiere genutzt werden kann. Auch das Raubtier Katze und das teildomestizierte Raubtier Wolf als Hund werden haushaltsnah als Mäusefänger und Wächter gehalten. Als Maxime gilt der ökonomische Nutzen; folgerichtig spricht man von Nutzvieh.
Im Widerspruch zu den eingangs zitierten Definitionen gibt es sehr wohl emotionale, empathische Beziehungen zwischen Mensch und Tier. Seit der private Wohlstand in den Industrienationen so angewachsen ist, dass der homo oeconomicus sich den Luxus leisten kann, nicht nur wirtschaftlich zu handeln, gesellte er sich das Haustier bei, das eine deutlich andere Position einnimmt als das Nutzvieh. Das Haustier ist Gesellschafter, nicht eierlegende Wollmilchsau.
Man sollte annehmen, dass Homo positive Gefühle gegenüber nahen Verwandten hegt, dem ist aber keineswegs so. Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang Utans werden in Zoos eingesperrt und dort ausgestellt. Zeugt dergleichen von Mitleid, Trauer, Schmerz oder Hilfsimpuls4?
Auch gegenüber genetisch kaum weniger Nahestehenden ist der Mensch gefühlsresistent. Schweine werden unter tierunwürdigen Verhältnissen binnen möglichst kurzer Zeit so zu Tode gebracht, dass sie möglichst viele, wenn auch nach nichts schmeckende Koteletts unters Schlachtmesser bringen.
Anders verhält es sich mit den Haustieren. Der Hund hat seine Ketten verloren und ist auf den Schoß geklettert. Die Katze jagt Mäuse nur noch zum Entsetzen ihrer Halter, die nicht verstehen, warum „Sheba“ et alii das Raubgelüst nicht befriedigen. Das Haustier liebt der Mensch so sehr, dass er nicht davor zurückschreckt, es nach seinem Geschmack zu verstümmeln.
Da ist der rassereine Hund, dessen Becken nicht mehr geeignet ist zu gebären, der asthmatisch ist und dessen Beine ihn nicht mehr tragen, teurer Dauerkunde beim Kleintierarzt und Grund vieler Tränen. Da ist die Katze, die kastriert wird, um nicht ihr, sondern ihrem Besitzer die Kätzchen im nächsten Frühjahr zu ersparen.
In allerjüngster Zeit hat der Mensch weitere Lebewesen entdeckt, die seiner Liebe bedürfen und ihrer würdig sind, wie er meint.
Die Polkappen schmelzen, woran Homo nicht ganz unschuldig ist. In der Antarktis sind die Pinguine bedroht, das ist bedauerlich, meint er, aber letztlich trifft es nur Vögel.
Jedoch: Auch die Arktis schmilzt! Die Eisbären verlieren ihr Habitat! Sie verhungern! Sie ertrinken!
Bilder von abgemagerten Eisbären, die ziellos umherschwimmen, bringen Menschen tatsächlich zum Weinen, und das ist erstaunlich, denn Eisbären sind die größten Landraubtiere. Eisbären bedrohen Menschen nördlich des Polarkreises. Eisbären haben oft blutrote Schnauzen, daran erkennt man, was sie gefressen haben. Eisbären flößen Angst ein. Eisbären jagen Robben, und die haben nach Meinung der meisten Menschen sehr süße Babies.
Was wäre so schlimm daran, wenn es keine Eisbären mir gäbe? Wer hat den Menschen die merkwürdige Liebe zu diesen gefährlichen Räubern eingepflanzt?
Es waren der WWF, Greenpeace und ähnliche Organisationen, und für sie dient der Eisbär dem Fundraising. Wer für den Erhalt der Umwelt kämpft, benötigt in der menschlichen Gesellschaft Geld. Es bedarf geschickter Strategien, es dem homo oeconomicus zu entlocken. Er muss sich der Illusion hingeben können, einen angemessenen Gegenwert zu erhalten, und sei es ein immaterieller. Sagte man ihm, dass sein Konsumverhalten maßgeblich verantwortlich für die Klimaerwärmung ist, so wäre das zwar richtig, hätte aber keinerlei positiven Aspekt. Eine Argumentation gegen das gerade erworbene SUV erweckte die Empathie für das SUV in einem bisher nicht bekannten Umfang. Also lässt man dem Menschen seine klimaschädigenden Konsumartikel und verschafft ihm zugleich ein gutes Gewissen, wenn er für bedrohte Teile des Ökosystems Geld zur Verfügung stellt – und Tiere mit dichtem Fell, deren Junge dem Kindchenschema entsprechen, sind als Repräsentanten solcher „bedrohten Teile“ bestens geeignet.
Empathie, so lernen wir, bezieht sich auf jeden und jedes, wenn Menschen wollen, dass sie dafür Empathie empfinden.5
Die Vermutung liegt nahe, dass Homo seine Empathie zunehmend anderen Subjekten als Vertretern der eigenen Spezies widmen wird. Die Fähigkeit, sich in andere Wesen hineinzuversetzen, ist verständlicherweise numerisch begrenzt. Die zunehmende Zahl der Menschen ist dafür schlechter, die abnehmende Zahl der Eisbären besser geeignet.
Dezember 2015
Fußnoten: (“<" führt zum Text zurück)
- Der Chef hat Wikipedia lange Zeit verabscheut. Die wissenschaftliche Qualität sei niedrig, die Fehlerquote hoch, behauptete er. Das hat sich geändert. Inzwischen erachtet er Wikimedia als eine wichtige Zugangsmöglichkeit zu Informationen (auch) für wissenschaftlich nicht gebildete interessierte Personen und spendet regelmäßig für deren Erhalt. Die Sekretärin
- Die Prämisse des Site-Namens, es handele sich bei Empathie um eine kognitive Fähigkeit, ist so naiv, dass sie schon wieder amüsant ist.
- Lediglich Primaten und Walen werden inzwischen Zugeständnisse gemacht.
- vgl. Wikipedia
- Wir erwarten nicht, diese Erkenntnis demnächst in einem menschlichen Lexikon zu lesen.
Dezember 2015