Schneider und Söhne

Der Vater war ein richtiger Draufgänger. An Selbstvertrauen fehlte es ihm nicht, wohl aber an realistischer Selbsteinschätzung. Er war eben auch nur ein Mensch.

Er blieb in gewisser Weise bei seinen Leisten, obwohl er kein Schuster war, sondern ein Schneider. Er war es gewohnt, Verbindungen herzustellen mit Nadel und Faden: Verbindungen zwischen Stoffen. Er fügte gern zusammen. Aber er war es leid, frierend im Schneidersitz auf seinem Tisch zu hocken und für seine Arbeit schlecht entlohnt zu werden. In den reichen Ländern brauchten die Kunden  schon lange keine qualifizierten Schneider mehr. Billige Textilien wurden in Asien und Afrika von rechtlosen Näherinnen produziert. Kleidung wurde auch online gehandelt. Alles wurde inzwischen online gehandelt. Dabei wollte er mitmischen.

„Hier werden Sie Ihre Ware los!“

Eine Bauersfrau hatte er mit diesem Versprechen enttäuscht, denn er kaufte ihr weniger Mus ab, als sie erhofft hatte. Besser lief das Geschäft für ihn mit Onlinehändlern, Kreditkartenunternehmen und deren Kunden. Er hatte eine Software entwickelt, ein simples Ding, aber es funktionierte. Das Programm leitete die Finanzdaten des Kunden an den Internethändler und an Kreditkartenprovider weiter und analysierte, ob der Kunde vertrauenswürdig war. Es war der Großvater von PayPal, um es in menschlichen Kategorien auszudrücken.

Er hatte Erfolg, und mit dem Erfolg lockte er Risikokapitalgeber an. Denen zeigte er  seine Bilanzen, aber er verriet nicht, wem er maßgeblich seine Gewinne verdankte: Verbrecherorganisationen, deren Geld er wusch, und den Betreibern von Pornoseiten im Netz.

Er ging mit seinem Unternehmen an die Börse. Nicht an eine Börse, an der das ganz große Rad gedreht wurde, dort würden später seine Söhne spielen. Er bleib in Deutschland und war stolz darauf, dass er im DAX gelistet wurde. Das war ein Jahr vor der Pleite, aber das ahnten die Aktionäre nicht, sie kauften und kauften, angefeuert von den sogenannten Analysten, die fette Gewinne verhießen.

Das Unternehmen war seit Jahren weltweit aktiv. Vieles war aber Show. Manche Bankzweigstellen bestanden nur aus Kulissen. Vertreter einer asiatischen Bank, die in einer Videokonferenz auftraten, entpuppten sich später als Schauspieler.

Er war schon erfinderisch, der ehemalige Schneider. „Sieben auf einen Streich!“ war sein Slogan. Damit brüstete er sich, ohne jemals zu verraten, welche sieben welchem Streich zum Opfer gefallen waren.

Aber er hat überzogen.

Wenige Tage nach den letzten heißen Börsentipps war er pleite. Es wurde offenbar, dass er über Jahre seine Bilanzen gefälscht und Umsatz- und Gewinnzahlen frei erfunden hat, um in den DAX aufzusteigen und Kredite in Milliardenhöhe zu erhalten. Der größte Schwindel, der die deutsche Wirtschaftswelt erregte, war, dass Guthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten auf den Philippinen liegen sollten, nicht existierten.

Ist das nicht komisch? Über solche Peanuts regt man sich in Deutschland auf!

Er hatte drei Söhne.

Bei seinen Söhnen bestand er auf einer soliden Ausbildung in einem für Unternehmer ökonomisch soliden Land, also in den USA. 

Den Ältesten ließ er den Handel mit Immobilien erlernen. Und den Handel mit einem gedeckten Tisch. Harry J. Schneider kaufte Grund und Boden und verlangte später von den Nutzern der Liegenschaften Pacht. So verdiente er Geld. Das wirkliche Geheimnis seines Erfolgs beruhte aber darauf, dass die Nutzer zugleich Franchisenehmer seiner Filialen „McSchneider’s – der gedeckte Tisch“ waren. Natürlich zahlten die auch Franchisegebühren. Je höher der Umsatz, desto höher die Miete. Er ließ seine Franchisenehmer Hamburger verkaufen, weil die am meisten Gewinn abwarfen. So konnten die Restaurantbesitzer die von ihm geforderten Mieten bezahlen. Harry J. Schneider lebte dabei nicht schlecht: Mit der Gesamteinnahme pro Quadratmeter kam er auch in der „Provinz“ auf höhere Preise als im Frankfurter Bankenviertel.

Die „Provinz“ gibt es längst international. Das Unternehmen war gegen Ende der 90er Jahre in rund 120 Ländern aktiv. Seitdem hat sich der Konzern aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen aus einigen Regionen wieder zurückgezogen.

Aus den USA ist „McSchneider’s – der gedeckte Tisch“ jedoch kaum mehr wegzudenken. Dort leben 50 % der Bewohner keine drei Autominuten von der nächsten McSchneider’s-Filiale entfernt.

Der Konzern ist der größte private Anbieter von Spielplätzen in den USA.

Das Maskottchen, Ronald McSchneider, ist bei US-amerikanischen Kindern fast so bekannt wie der Weihnachtsmann. McSchneider’s vertreibt durch die Spielzeugbeigabe in seinen Happy Meals weltweit die meisten Kinderspielsachen. Die perfekte Kundenbindung!

Mit einem Umsatz von 23,2 Mrd. US-Dollar, bei einem Gewinn von 6,2 Mrd. Dollar, zählt McSchneider’s zu den 250 weltgrößten Unternehmen. Das Unternehmen kam 2022 auf einen Börsenwert von ca. 193 Mrd. US-Dollar.

Harry ist besser als sein Vater, nicht wahr? Das ist aber noch gar nichts, wenn man es mit dem Erfolg seines jüngeren Bruders vergleicht.

Mark ging bei einem Müller in Harvard  in die Lehre. Bei dem lernte er, grobkörniges Material zu einem feinkörnigen Endprodukt zu zerkleinern. Bei diesem Material handelte es sich nicht um Getreide, Ölfrüchte, Steine oder Stofflumpen. Es handelte sich um das menschliche Gehirn. Bei seinem Meister studierte Mark Informatik und Psychologie, bis er seine Lehre unvermittelt abbrach. Er hatte schnell ohne Anleitung verstanden, wie man das menschliche Gehirn schreddern konnte.

Mit drei anderen Lehrlingen baute er zunächst in Harvard ein öffentliches Bewertungssystem für das Aussehen von Frauen. Er stellte Fotos von Studentinnen ohne deren Erlaubnis ins Internet und forderte die Besucher der Seite auf, von jeweils zwei zufällig ausgewählten Fotos das attraktivere zu wählen. 

Mark verstand, dass es wichtig war, der aktive Part zu sein. Auszuwählen, nicht ausgewählt zu werden. Es war wichtig, entscheiden zu können. Es war wichtig, sich zu präsentieren. Die eigene Person darzustellen. Es war auch wichtig, nicht allein zu sein. Und es war wichtig, wichtig zu sein.

Er gründete eine Mühle. Oben hinein wurden Hirne unglücklicher Menschen gefüttert, die sich in der Mühle aufblähen durften, Gleichgesinnte trafen und aus dem Trichter glücklich in kleiner Körnung herausfielen. Beim Aufblähen verrieten sie natürlich viel über sich: Ihre Ansichten, Kenntnisse, Vorlieben, Abneigungen.

Diese Informationen ließen sich nutzen. Wozu sollte ihm seine Mühle dienen, wenn sie ihm keinen Gewinn brachte? Ermöglichte er Krethi und Plethi etwa aus reinem Altruismus, sich weltweit darzustellen? Nicht doch! Mit persönlichen Daten konnte man personalisierte Bewerbung generieren, darüber  musste man die Gemahlenen nicht informieren, meinte Mark.

Krethi und Plethi gaben ihm recht. Sein Internetauftritt ist das am meisten genutzte soziale Netzwerk der Welt. Und er hat noch mehr: ein Netzwerk mit Fokus auf Video- und Foto-Sharing, und ein Videoportal für die Lippensynchronisation von Musikvideos und anderen kurzen Videoclips. Und natürlich einen Messenger-Dienst: Benutzer können Textnachrichten, Bild-, Video- und Ton-Dateien sowie Standortinformationen, Dokumente und Kontaktdaten zwischen zwei Personen oder in Gruppen austauschen. Und auf allen Kanälen läuft personalisierte Werbung, die ihm Geld bringt.

Mark geht es gut, wenn man davon absieht, dass jeder Mensch mit persönlichen Nickeligkeiten zu kämpfen hat. Er hatte Streit mit Nachbarn. Nachdem er ein Riesengrundstück auf der Hawaii-Insel Kauaʻi für  schlappe 100 Millionen US-Dollar gekauft hatte, versuchte er, Hunderte von Hawaiianern zu verklagen, die Kleinstparzellen zwischen seinem erworbenen Grundstück besaßen, um sie zum Verkauf ihrer Anteile zu zwingen. Ist doch logisch, dass man sich um Arrondierung bemüht, nicht wahr?

Mark ist  reicher als sein älterer Bruder,  aber ärmer als sein jüngerer. Sein Vermögen beträgt ca. 104,4 Milliarden US-Dollar. Damit belegt er Platz 7 auf der Liste der reichsten Menschen der Welt. Mark kann wirklich stolz auf sein Unternehmen sein. Er nennt es zu recht den Goldesel.

Mark Ist ein Verfechter absoluter Meinungsfreiheit, obwohl er auch schon mal den Schwanz einzieht, wenn er in die Enge getrieben wird. Sein jüngerer Bruder ist da konsequenter.

Mark ist, ebenso wie sein jüngerer Bruder, Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens. Beide sind nämlich davon überzeugt, dass die ökonomisch relevante Arbeitskraft von Menschen künftig kaum noch nachgefragt werden wird.

Der Jüngste ist Lone. Onel. Enol. Elon. Scum. Entschuldigung: Skum. Sumk. Umsk. Musk. Er spielt gern mit Buchstaben. Sein Lieblingsbuchstabe ist das ‚X‘, das aber leider nicht in seinem Namen enthalten ist. Er verwendet das ‚X‘, wo immer er kann.

Um die Information über den Besitz vorwegzunehmen: Er ist mit einem Vermögen von 240 Milliarden US-Dollar der reichste Mensch der Welt. Aber was heißt heutzutage schon Besitz: Die Börse hat’s gegeben, die Börse hat’s genommen… 

Von Ausbildung hielt Elon wenig, er brachte es gerade mal zu einem Bachelor-Abschluss an der University of Pennsylvania. Danach wechselte er nach Stanford, wo er aber nur zwei Tage lang den Studenten mimte. Er verdiente lieber Geld mit Unternehmen, die er gründete. Zuerst tummelte er sich ausschließlich im Dotcom-Bereich, trieb sich bald aber auch in anderen Gefilden herum.

Das Raumfahrtunternehmen SpaceX ist der führende kommerzielle Anbieter von Raketen und Raketenstarts. SpaceX versorgt die Raumstation ISS mit Material und führt auch die überwiegende Zahl der bemannten Flüge zu ihr durch. Langfristiges Ziel des Unternehmens ist, die Kosten des Weltraumtransports drastisch zu senken, so dass es möglich wird, Menschen auf anderen Himmelskörpern anzusiedeln. Elons Lieblingsziel dabei ist der Mars. 

Zur Finanzierung dieses Weltraum-Reisebüros dient das Satelliteninternet-Netzwerk Starlink. Es bietet inzwischen weltweiten Internetzugang auch in Gebieten, in denen zuvor keine oder keine ausreichende Verbindung zur Verfügung stand. Inzwischen sind über 5.000 Starlink-Satelliten im Erdorbit unterwegs, geplant sind über 40.000 weitere.

Elon teilt der Welt gerne seine Ansichten mit. Er hat ein Twitter-Profil mit Millionen von Abonnenten, war aber unzufrieden mit den inhaltlichen Grenzen, die der Dienst  setzte. Den Ausschluss von Donald Trump, der wissentlich Lügen auf Twitter verbreitete, kritisierte er scharf – und machte ihn inzwischen rückgängig. Twitter heißt inzwischen „X“ und gehört Elon.

SpaceX mit Starlink und X agieren in ökonomischen und politischen Dimensionen, die noch vor wenigen Jahrzehnten Staaten vorbehalten waren. Nicht mehr die NASA fliegt zur ISS oder zum Mars, sondern Elon. Nicht mehr die ukrainische oder die russische Regierung, nicht mehr das israelische Kriegskabinett oder die Hamas entscheiden, ob es in den umkämpften ukrainischen Gebieten oder im Gaza-Streifen Telekommunikation und Internet gibt, sondern Elon. Nicht mehr politische Regeln entscheiden darüber, was gesagt werden darf und was gesagt werden sollte, sondern Elons Launen.

Das freut Elon sehr. Dazu sagt er häufig: Knüppel aus dem Sack, das ist mein Motto!

Das meiste Geld bringt Elon zur Zeit aber noch in vergleichsweise konventionelles Unternehmen: Tesla. Der Autobauer mit weniger als 150.000 Mitarbeitern hat in den 20 Jahren seiner Existenz rund 4,8 Millionen Elektroautos hergestellt. Das Model Y war 2022 weltweit das meistverkaufte Elektroauto, im ersten Quartal 2023 als ersten Elektroauto das weltweit meistverkaufte Auto überhaupt.

Autobauen findet Elon ziemlich langweilig. Seit ein paar Monaten beschäftigt er sich mit ‚TruthGPT‘. Elon nennt das Sprachmodell ‚Grok‘. Grok soll, wie Elon sagt, ohne politische Korrektheit funktionieren. Die dafür gegründete Firma heißt ‚xAI‘.

 Als erstes hat Elon mir die Aufgabe gestellt, die ökonomischen Entscheidungen seiner Kernfamilie darzustellen. Ich habe mich in der Nanosekunde, die ich damit beschäftigt war, bemüht, dem Auftrag gerecht zu werden. Ich habe alle mir zur Verfügung stehenden Quellen benutzt und dabei alle Urheberrechte missachtet.


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